Die Energieperspektiven 2050+ des Bundesamts für Energie sehen einen Umbau des heute hauptsächlich fossilen Energiesektors in einen erneuerbaren vor. Reduziert wird der Einsatz von Benzin, Diesel und Kerosin. Erhöht wird dafür der Bedarf an elektrischer Energie, welcher durch den Ausbau von Solar-, Wind- und Wasserkraftwerken gedeckt werden soll.
Kurz vor Biel besichtigen wir das Laufwasserkraftwerk Hagneck. Das Kraftwerk wurde erstmals 1899 in Betrieb genommen und gehört zu den ältesten Wasserkraftwerken der Schweiz. Kürzlich wurde es erweitert und 2015 eröffnet. Das Wasserkraftwerk befindet sich in einer geschützten Auenlandschaft von nationaler Bedeutung. Deswegen wurde beim Umbau viel Wert auf die Biodiversität und Umweltverträglichkeit gelegt, in der Vorbereitung mit Umweltorganisationen zusammengearbeitet sowie Informations- und Partizipationsveranstaltungen durchgeführt. Es wurde eine Erfolgsgeschichte. Es ist eines der wenigen Kraftwerksprojekte, bei welchem die Industrie und NGOs gemeinsam das Projekt mitgestalteten. So bekommt das Kraftwerk 2017 vom SIA die Auszeichnung “Umsicht – Regards – Sguardi”. Im gleichen Jahr zeichnet die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz den Kanton Bern, die BKW und den Energie Service Biel/Bienne für ihr Engagement zur sorgfältigen, umwelt- und landschaftsverträglichen Sanierung dieses Kraftwerks aus. Mit dem Umbau wurde eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten geschaffen: es gibt ein grösseres Erholungsgebiet, mehr Natur und mehr Strom.
Es ist begrüssenswert, dass bei Umbauten und Erweiterung bestehender Anlagen Umweltorganisationen miteinbezogen werden. Doch wie sieht es mit neuen Projekten aus? Im Gadmertal hat sich im Gebiet des ehemaligen Triftgletschers der Triftsee gebildet. Neue Biodiversität entsteht drum herum. Nun möchte die BKW dort mitten in der unerschlossenen Wildnis einen Stausee bauen, was das sich im Frühling 2019 gebildete Trift-Komitee verhindern will. Eine Zusammenarbeit oder auch nur schon ein Austausch der beiden Interessensgruppen findet nicht statt. Beim Kraftwerk Hagneck treffen wir die beiden Opponenten zu einem Gespräch.
Dass es keinen Spielraum (und kein Interesse) für einen konstruktiven Austausch seitens der Stausee-Gegner gebe, wird direkt zu Beginn gesagt. Sie sehen keine Möglichkeit für Kompromisse: entweder es gibt einen Stausee oder nicht. Ihre Argumente gegen das Kraftwerk sind neben der Landschaftszerstörung die hohen Kosten (bis zu 400 Mio. Franken) und der geringe Nutzen. Mit einem Budget in dieser Grösse könnte mit Solarenergie rund drei bis vier Mal so viel Strom produziert werden. Auch haben sie negative Erfahrungen mit Konfliktprozessen gemacht, da seitens Unternehmen das Aktionärsinteresse immer sakrosankt war und deshalb kein Spielraum vorhanden ist. Man solle von weiteren Stauseen absehen, da es andere Möglichkeiten zur Stromspeicherung gebe, welche weniger landschaftsbelastend sind und einen geringeren Einfluss auf die Biodiversität haben.
Die Befürworter dagegen halten fest, dass wir in Zukunft Stromspeicher brauchen werden, um flexibel Strom ins Netz einspeisen zu können. Und die Lage beim Triftsee sei ideal. Es sei einer der besten Speicherplätze der Schweiz (wegen der Talenge und dem damit verbundenen geringen Betoneinsatz). Auch gebe es bisher im Gadmertal viel Wasser aber keine Speicher. Diese übernähmen eine Glättungsfunktion des Gletschers nach dessen Rückgang. Ebenso sei im Gadmertal die notwendige Infrastruktur wie Hochspannungsleitungen bereits vorhanden (welche an anderen Standorten zusätzlich gebaut werden müsste).
Einig in der Diskussion war man sich, dass eine grundsätzliche Strategie für die Alpen auf politischer Ebene fehlt, sowohl in Bezug auf die energetische Nutzung als auch bezüglich Natur- und Landschaftsschutz. Deshalb entstünden immer wieder dieselben Diskussionen. Und es solle eigentlich nicht so sein, dass das Bundesgericht über die Umsetzung kommender Kraftwerks- und Schutzprojekte entscheidet. Es existiert zwar ein runder Tisch unter der Leitung von Bundesrätin Sommaruga zur Diskussion von grösseren Kraftwerken, allerdings ist dieser nicht offen für alle interessierten Verbände. Auch zur Nutzung von Solarenergie gebe es keine Bundesstrategie, jeder Kanton sei selber zuständig. Ein weiter diskutierter Punkt ist die Möglichkeit der Nutzung eines Speichersees zur Speicherung von Trinkwasser in trockenen Sommern.
Was im Gespräch etwas zu kurz kam, war die Diskussion der Grössenordung, mit welcher abgeschätzt werden kann, ob ein zusätzlicher Speichersee tatsächlich einen essentiellen Beitrag für die Sicherstellung der ganzjährigen Energieversorgung leistet, welche die Investitionen und die Umweltauswirkungen rechtfertigt. Denn allein um die Winterstromlücke zu decken, bräuchte es mehrere Dutzend neue Speicherseen von der Dimension des Triftprojektes.
Bericht der SCNAT zum Podiumsgespräch: Link