Am 29. Juni ist Klimaspuren in Bern. Bei der Publibike-Station am Bahnhof treffen wir den VCS Bern zusammen mit den Berner Gemeinderätinnen Franziska Teuscher, Direktorin für Bildung, Soziales und Sport, und Marieke Kruit, Direktorin für Verkehr, Tiefbau und Stadtgrün. Zusammen begeben wir uns auf eine kleine Tour durch die Hauptstadt Bern, welche zur Velohauptstadt werden möchte.
Im Jahr 2014 hat der Gemeinderat von Bern beschlossen eine Velo-Offensive zu starten. Diese soll das Velo als Verkehrsmittel fördern und damit gleichzeitig die Lebensqualität in Bern verbessern. So steht auf ihrer Webseite: “Das Velo ist das ideale Verkehrsmittel für die Stadt. Es ist rasch, günstig, hält gesund und steht für einen urbanen Lebensstil. Zudem ist es platzsparend und ressourcenschonend. Die Velo-Offensive ist zugleich Strategie und Programm für die Veloförderung der nächsten Jahre. Sie skizziert eine Vision, formuliert ein konkretes Ziel und zeigt auf, wie das Ziel mit koordinierten Massnahmen erreicht werden kann.”
Einige Massnahmen wurden bereits umgesetzt und so wurde Bern dank ihrer Velo-Offensive der “Prix Velo Infrastruktur 2020” von Pro Velo Schweiz verliehen. Auf dem Rundgang wird betont, dass sich alle Altersgruppen auf der Strasse sicher fühlen sollen – von der Primarschülerin bis zum Urgrossvater. Eine Selbstverständlichkeit könnte man meinen, doch leider wohl in keiner Schweizer Stadt Realität.
Bern realisierte 2016 ihre erste Velohauptroute vom Hauptbahnhof bis ins Wankdorf. Die durchgehende Veloverbindung ist oftmals 2.50 Meter breit oder teilt die Spur mit dem Bus. Auch wurde die Situation auf der Lorrainebrücke verbessert. Durch die Aufhebung einer Autospur stadtauswärts konnten die Velostreifen in beide Richtungen verbreitert und streckenweise mit Gummipfosten vom motorisierten Verkehr geschützt werden. Die Spurreduktion auf der Brücke wurde wegen einer Baustelle ermöglicht. Es konnte gezeigt werden, dass sich kein zusätzlicher Autostau bildete, trotz der Modellrechnungen, welche einen Verkehrskollaps voraussagten. Es folgten und folgen weitere Velohauptrouten, mit breiten Velowegen als Standard.
Eine weitere Erfolgsgeschichte ist das Veloverleihsystem. In der ganzen Stadt sind Publibike-Stationen verteilt, an welchen Velos mit und ohne Elektroantrieb flexibel ausgeliehen werden können. Das Angebot wird rege genutzt. Als wir uns am Bahnhofsplatz zu unserer Velotour versammeln, herrscht beim Veloverleih ein reges Kommen und Gehen. Besonders die E-Bikes seien beliebt, was wohl der nicht gerade ebenen Topographie von Bern geschuldet ist. Die Publibikes werden von allen Altersgruppen genutzt und insbesondere bei Jungen findet das Angebot grossen Anklang.
Neben der Publibike-Station gibt es natürlich am Bahnhof auch normale Veloparkplätze. Doch diese seien noch zu rar und die Stadt prüft mit Hochdruck, wie sie mehr Veloabstellplätze zur Verfügung stellen können. Eine Idee ist die aktuell kostenpflichtigen Velostationen im Bahnhof, welche noch nicht ausgelastet sind, kostenlos zur Verfügung zu stellen.
Ein etwas umstrittenes Projekt ist die sogenannte Panoramabrücke – eine geplante Fuss- und Velobrücke zur Verbindung der östlichen und westlichen Stadtteile Berns, mit Blick in die Berner Berge. Es ist ein 30 Millionen Projekt, und die Brücke hätte eine Länge von 350 Metern. Aufgrund von Sparmassnahmen der Stadt ist dieses Projekt aktuell auf Eis gelegt. Die laufenden Vorarbeiten werden jedoch abgeschlossen, so dass zu einem späteren Zeitpunkt auf diesen aufgebaut werden kann. Es ist ein teures Bauwerk, und so hat die Stadt entschieden, mit dem Geld prioritär andere, günstigere und dringendere Massnahmen für den Veloverkehr umzusetzen.
Wird eine neue Brücke geplant kommen sogleich auch weitere Anforderungen, welche das Projekt komplex machen. So muss eine solche Brücke auch von Ambulanz und Polizei befahrbar sein. Und es tauchen Forderungen auf, gleich doch auch eine Spur für den MIV einzubauen. Wenn schon eine Brücke gebaut wird, kann die ja auch von den Autos genutzt werden. Doch würde dies getan, verlöre das Projekt seinen Charme. Wer Strassen baut, erntet Verkehr. So wehrt sich denn auch der VCS gegen eine Erweiterung der angedachten Brücke für den motorisierten Verkehr.
Da die Stadt Bern 2019 den Klimanotstand ausrief, ist sie in der Pflicht zu handeln. Fördermassnahmen für Velos sind für Gemeinden verhältnismässig günstige und einfache Massnahmen. Und auch das Gewerbe erkennt die Vorteile der Veloförderung zunehmend. In 3-monatlichen Treffen bespricht die Stadt mit Gewerbevereinen geplante Velomassnahmen und holt ihre Bedürfnisse ab.
Eine Massnahme, um Velos gerade bei Kindern und Jugendlichen attraktiv zu machen, sind Pumptracks. Kinder finden Velos zumeist gut, doch in der 5./6. Primarklasse steigen viele auf die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln um. Die Stadt möchte dies verhindern, da Personen, die auf öV umgestellt haben, nur schwer zum Velo zurückgebracht werden. Deshalb muss das Velo für diese Altersgruppe attraktiv sein. So wurden nun in der ganzen Stadt Pumptracks installiert (ein Pumptrack kostet etwa 100’000.-). Es soll vermittelt werden: Velofahren ist cool. Und die Rechnung geht auf: Pumptracks werden immer mehr auch von der Bevölkerung gewünscht. Dabei schaut die Stadt, dass Pumptracks auch in Quartiere kommen, welche sich nur schwer politisch äussern können. Neben den fix installierten Pumptracks gibt es auch zwei mobile Pumptracks, welche Schulen buchen können.
Es läuft viel, in der werdenden Velohauptstadt Bern. Am 5. September findet im Bern das Velofestival statt: Hallo Velo.
Doch es läuft noch nicht alles so, wie es sollte. So betont Franziska Grossenbacher vom VCS Bern, dass gerade in Bezug auf Velorouten die regionale Zusammenarbeit sehr wichtig ist. Velorouten sollten nicht an den Gemeindegrenzen aufhören. Zwar gibt der Kanton vor, wo Veloschnellrouten durchführen sollen. Die Umsetzung liegt jedoch bei den Gemeinden, welche in unterschiedlichem Tempo daran arbeiten. Auch hat die Stadt Bern sehr lange gebraucht, um überhaupt in diese Richtung zu arbeiten. Seit 30 Jahren ist Bern in rot-grünen Händen, doch bis 2014 ist eigentlich nichts passiert. Mit Blick auf Kopenhagen und Holland sieht man: es wäre auch heute noch mehr möglich. So hat der VCS am vergangenen Dienstag einen Masterplan fossilfreier Verkehr publiziert. Es ist möglich, den Verkehr fossilfrei zu gestalten, doch wir müssen rasch handeln.
Kurz vor Mittag sind wir wieder zurück auf dem Bahnhofplatz – und werden direkt von einem heftigen Gewitter begrüsst. Schutz vor dem einsetzenden Hagel bieten die Berner Laubengänge.