Klimaspuren wandert durch die Areuse-Schlucht. Die Postkarten-Landschaft erster Klasse ist nur, weil der Fotograf ist, der sie abbildet. Die Gorge Areuse samt Krebs Gelyella laden zur Klimameditation ein.
Klimaspurens Fotograf Ralph Feiner macht Bilder in der Areuse-Schlucht, die die Natur zum Neuenburger Flachland hin in den Jura geschlagen hat. Staubbäche, verwegene Wege, senkrechte Kalkfelsen, mutig sich über die Schlucht lehnende Buchen – eine grossartige Raumfuge. Urtümlich, wild, ewig. Wie ein Landschaftsmaler sucht Feiner Ausschnitte, dramatisiert, was da ist, schneidet Wildnis aus, schärft das gurgelnde Wasser mit dem grossen Objektiv. Er macht aus der Schlucht hinter Neuenburg eine Postkarten-Landschaft erster Klasse, denn sie ist nur, weil der Fotograf ist, und mit seinem Apparat die Landschaft bildet, transport- und erzählfähig macht als Erbe des Landschaftsmalers. Und wir haben das Bild «Wilde Schlucht» im Kopf dank ihm, wandern herbei und sagen: «Schau, wie schön!»
Gewiss, es fasziniert auch der Schauer der unmittelbaren Begegnung. Die Klimaspurinnen sind schon eine Stunde unterwegs, als sie in die dunkle Kühle einbiegen, durch die sie nun drei Stunden lang hintereinander her zotteln und lernen: Wild ist bei weitem nicht wild; die Schlucht ist seit über hundert Jahren für den Schauer und Genuss inszeniert. Stege und Wege, Geländer und Seile, Treppen und wirkungsvoll platzierte Kanzeln für den Schlucht- und Schreckensblick. Ein sicherer Stand und Wandel für den Wanderer samt Warntafeln vor Hochwasser und Steinschlag. Und was wild in Wanderins Auge erscheint und ihre Seele bewegt, ist ganz und gar gezähmt. Fünf Wasserkraftwerke treibt die Areuse an, bevor sie einbiegt in die Schlucht, wo der Fotograf sie als Naturdenkmal abbildet – und käme das Wasser zu hoch, Wanderer gefährdend gar, würde der Kraftwerkwart hinten im Tal den Regulierhebel nach unten drücken. Und der Wanderer ertränke nicht.
Dem stiebenden Bach, den überhängenden Felsen und dem intensiven Geruch von Nässe und Naturschauspiel entlang trottend, überkommt mich Demut. Trotz der vielfältigen Eingriffe der Ingenieure und Bildermacher in diese Landschaft, berührt mich die hunderttausend Jahre alte Substanz der Felsen- und Steintürme. Völlig unberührt sind sie von unserer Sorge um die Klimanot. Und bei einem Kraftwerk lese ich die Biografie von Gelyella Monardi, einer zoologischen Sensation aus dem Jahr 1988. Der bis dahin unbekannte Flusskrebs wohnt in der Schlucht als einzigem Ort der Welt. Gelyella ist weniger als einen Millimeter gross, hat krebisge Schuppen und Zangen und ist 20 Millionen Jahre alt. Wir Menschen könnten untergehen, glauben wir den Forschern, die Klimaspuren begleiten. Wenn wir die Erde um 5 Grad aufheizen, wird Gelyella mit seinen Zangen traurig klappern, weil es uns nicht mehr gibt – sie wird noch lange da sein, wenn wir bleich und tot sind.