Auf Klimaspurens Etappe von Laax nach Tamins hörten die Wanderer beim Zvieri am Vorderrhein, wie die Flussuferläuferin Carla Schnepf den Tourismusmann Carl Hurtig gebodigt hatte.

Es war einmal Clara Schnepf. Sie gehört zur Familie Flussuferläuer und wohnt auf einer Sandbank bei Ransun in der Rheinschlucht im Bündner Oberland. Am Morgen, Mittag und Abend fängt sie Mücken und Fliegen für sich und ihre Jungen. Oder sie holt Krebse aus dem Vorderrhein. Carla kann schwimmen und tauchen. Dazwischen übt sie pfeifen – deutsch, sursilvan und rumantsch grischun. Sie ist eine gute Brüterin, Mutter und Nestfrau und gerät nur in Aufregung, wenn die Kraftwerker Muskel zeigen und dem Sunk den Schwall nachjagen, Das hat schon mehr als einmal ihr Nest samt Brut zerstört. Wie die pur suveran aus der Surselva mit ihren Maiensässen und Alpen einst, leben sie und ihre Familie eine Stufenwirtschaft – wenn es kalt wird, ziehen sie mit Sack und Pack in ihre Wohnung am Strand von Hasch-al-Nikim in Nordafrika, dann für ein Weilchen nach Brilloborg in Südafrika und kommen erst im Frühling wieder nach Ransun.

Es war einmal Max Hurtig. Er ist ein wichtiger Mann in der Rheinschlucht. Er will den Fremdenverkehr ankurbeln. Als Freund der Wanderer hat er sich vorgenommen, das letzte Stück ihres Wegs zwischen Ilanz und Reichenau-Tamins zu schliessen, denn da ist bisher wegen der stotzigen Felsen bei Ransun eine Lücke. Wäre keine, so Max, würde das dem Wanderer gewiss gefallen. Auch sagt er: «Der Tourismus ist ein System, er duldet keine Lücke.» Hurtig ist ein Macher. Also zeichnete er Pläne gegen die Lücke mit Brücken, Stegen und auch einem Tunnel.

Clara Schnepf hatte bei ihren Ausflügen auf die Komposthaufen des Dorfes vom Plan murmeln hören. So nahm sie allen Mut in ihr Vogelherz, bürstete ihren braunen Mantel und ihre weisse Brust und flog zu Max Hurtig, der grad am Grillieren war. Sie setzte sich dazu, pickte herabfallende Krümel, schenkte Max’ Töchterlein eine braun-schwarz-weiss schimmernde Feder und bat ihn auf seinen Plan zu verzichten: Die Wanderer würden mit ihrem Laufen und Singen ihre Familie so beim Brüten stören, dass sie aussterben oder auswandern müssten.

Max Hurtig kaute seine Wurst und nahm einen Schluck Rotwein: «Lücken sind da, um geschlossen zu werden. Der Wanderer erwartet Komfort. Wir sein Geld. Der Weg muss sein. Der Bau der RhB durch die Rheinschlucht, die Hochwasser von 1927 und 1987; Sunk und Schwall der Kraftwerke – alles habt ihr Vögel überlebt, da werden euch die Wanderer auch nicht umbringen. Denkt lieber an die Picknick-Resten, die sie für euch zurücklassen. Und wir bezahlen auch Kompensation für eure Verwandten im Kongo. Kurz – wir werden bauen.» Clara Schnepf streckte Max die Zunge heraus, spreizte die Flügel und flog heim auf die Kiesbank.

Am andern Tag telefonierte sie mit Franz Fuchs von ihrer Gewerkschaft BirdLife. Er setzte seine Hebel in Bewegung, schrieb Briefe, verwies darauf, dass Flussuferläufer in einer national geschützten Landschaft wohnen und er stellte Max zur Rede. Der sagte ihm, er lasse sich von Unterländern nichts sagen und von Vogelschützern schon gar nicht. Stattdessen trieb er sein Vorhaben voran, rühmte seinen Tourismus als sanft, suchte Subventionen zusammen, bestellte Gutachten. Er drängte die Gemeinde die Schutzzone ein paar Meter zu versetzen und die Region, den die Vögel schützenden Richtplan zu korrigieren. So dass Max seinen Wanderkorridor schon leuchten sah in der Nacht.

Clara Schnepf flog mit Mann, Kindern, Nichten und Neffen nach Chur. Sie lärmten so vor dem Regierungshaus, dass alle Spatzen in die Lüfte flohen und die Katzen das Maul leckten. Aber der Regierung war das gleich, sie war für den Fortschritt und also fürs Wandern ohne Unterbruch und winkte den Richtplan und die Zonenverschiebung durch. Da flog Carla zum Verwaltungsrichter. Doch der Richter schrieb ihr ein paar Monate später nach Ransun, man habe die Güter abgewogen – zu Gunsten der Wanderer, die gesund lebten und Fremdenverkehr ohne CO2 trieben. Max Hurtig dürfe bauen.

Clara Schepf liess das Köpfchen hängen. Auch saisonaler Mann Fritz wusste weder ein noch aus. Einige Bündner Naturschützer keiften sie sogar an, sie solle nun aufhören mit dem Theater gegen die ökologisch korrekten Wanderer und sich nicht weiter von den Unterländern einspannen lassen. Doch Clara zog ins Welsche und klagte gegen die Gemeinde und den Kanton vor den Bundesrichtern. Dann war es lange still und drei Gebrüte später brachte der Pöstler wieder einen Brief in die Ruinaulta: Carla hat auf der ganzen Linie gewonnen. Das Bundesgericht lehnt die Zonenverschiebung und die Richtplanverbiegung ab. Max und die Seinen können nicht bauen. Die Richter sagten, dass ein Weg unmöglich sei, ohne die Vogelfamilien zu gefährden und dass ihr Schutz über Max Hurtigs Eifer stehe.

Da lud Carla ein zu einem grossen Fest auf die Sandbank. Die Grasmücken brachten Essen und Trinken. Die Raben-Eulen-Combo spielte den «Wanderer-Tango». Die Eule las das Urteil vor. Eine Heer Glühwürmer sorgte für die Beleuchtung. Alle Vögel aus der Surselva waren schon da, alle Vögel alle. Auch die Bundesrichter und Franz Fuchs und seine Kameradinnen von den Umweltverbänden sassen ums Feuer. Eine Delegation Forellen brachte Glückwünsche und auch Max Hurtig stiess zur Runde. Carla Schnepf und er hatten Frieden gemacht, denn sie hatte ihm die rettende Idee gegeben: «Stifte doch für deine Wanderinnen einen Überbrückungskredit zwischen Trin und Versam bei den RhB. Das Bähnli soll im Zehnminutentakt einen fahrenden Barwagen hin und her schicken – die Strecke reiche ja grad für ein Bier.»

Und wenn sie nicht gestorben sind, lebt Carla vergnügt auf der Sandbank von Ransun und Max fährt den ganzen Tag als Konduktör und Barkeeper zwischen Trin und Versam hin und her.

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